Seit vergangenem Jahr arbeitet Mindt für das Schifffahrtskontor Rinke. Die Worpsweder Firma bietet die Linie Vegesack-Worpswede mit Zwischenstopps in Lesum und Ritterhude an. Seit Mindt am Steuerrad der "Sansibar" steht, ist er rund 70 Mal die Lesum und Hamme rauf und runter geschippert. "Man kennt jeden Baum und Strauch", sagt der 62-jährige Blumenthaler, doch langweilig sei es nicht, "ich hab’ ja immer neue Passagiere". An diesem Mittwochmorgen sind es zunächst 15 Ausflügler.

Inzwischen zieht die "Sansibar" an der backbords liegenden "Schulschiff Deutschland" vorbei. In Mindt werden Erinnerungen wach: Auf dem Großsegler begann vor einem halben Jahrhundert seine seemännische Ausbildung. 14 Jahre war er damals alt. Anschließend fuhr Mindt als Matrose für die Hapag. "Das hat mich im Freundeskreis einige Sympathien gekostet, bei einer Hamburger Reederei anzuheuern", sagt der gebürtige Aumunder. Trotzdem sei es eine schöne Zeit gewesen, damals mit "Seefahrer-Romantik, guten Arbeitsbedingungen und Zusammenhalt unter der Crew". Vieles davon hätten die Container kaputt gemacht: Heute erlaubten die kürzeren Schiffsliegezeiten kaum noch Landgang, sei die Freizeit knapp bemessen.

Auf der Lesum geht es weiter in Richtung Grohner Sperrwerk - Zeit, um die Gäste zu begrüßen. Mindt erzählt dann etwa, dass die Lesum mit zehn Kilometern Länge der zweitkürzeste deutsche Fluss ist. Auf derartige Hinweise muss der Kapitän diesmal verzichten: Die Lautsprecheranlage ist defekt. Andree Brüning - Maschinist und Servicekraft - wird erst vor Neu-Helgoland reparieren können. Er und seine Schwester Nicole Brüning müssen jetzt die Bestellungen aufnehmen und Getränke servieren.

Knoops Park kommt in Sicht. Mindt erinnert sich an Tragisches. Vor kurzem machte er am Lesumufer eine Wasserleiche aus, stoppte die "Sansibar" und dirigierte Polizisten zu der Fundstelle. Von dem Vorfall erzählt er geradezu routiniert. Der Eindruck täuscht nicht. Der pensionierte Hauptkommissar stand 40 Jahre lang in Diensten der Wasserschutzpolizei, barg an die 40 Wasserleichen: Verunglückte Berufsschiffer oder Opfer von Badeunfällen, manchmal hatten sie monatelang im Wasser gelegen. Weniger dramatisch war das Fangen von Kriminellen, die sich in den Häfen von Bremen, Rotterdam und Antwerpen als neue Besatzungsmitglieder ausgegeben und auf den Frachtern als Diebe erwiesen hatten.

Vor der Burger Brücke nimmt Mindt das Fernglas zur Hilfe, begutachtet von weitem den Wasserstandsanzeiger. Die "Sansibar" ragt vier Meter über die Wasseroberfläche. Ist der Pegel zu hoch, muss Andree Brüning ran und das Führhaus abklappen, dann sind es noch knapp drei Meter. Das reicht nicht immer, weshalb die Abfahrtszeiten variieren: Wer die tideabhängige Tour nach Worpswede mitmachen möchte, sollte sich zuvor bei der Reederei erkundigen. Mindt legt das Fernglas zurück. Frühzeitig hat er erkannt, dass das Schiff genug Platz hat. Sorgen wegen auflaufenden Wassers, das von hinten drückt und ein Stoppen vor der Brücke erschwert, erübrigen sich.

Kurz hinter der Burger Eisenbahnbrücke, als er die Halle vom Segelverein Neptun sieht, muss Mindt lächeln. Der Grund: Vor rund zwei Wochen stand das Wasser hier so hoch, dass die "Sansibar" die Brücke nicht mehr passieren konnte. Die Passagiere auf der Rückfahrt nach Vegesack mussten vorzeitig aussteigen und über Bord auf den Neptun-Steg klettern. Kleine Pannen passieren - wie auch beim Wasserhorster Anleger. Ein halbes Jahr ist es her, da fuhr Mindt auf die dortige Sandbank, "ganz sutje", wie er meint. "Ich hab’ den Leuten gesagt, wir parken auf einer Seehundbank und warten auf die Tiere." Nach zehn Minuten sei das Schiff aus eigener Kraft wieder freigekommen.

Am Anleger Ritterhude füllt sich die "Sansibar" merklich. Eine Busladung Tagestouristen aus Hannover steigt zu. Brünings kommen ins Rotieren. Bei Mindt dauert es bis zur Ritterhuder Schleuse: Die Kammer, in die er das Schiff fährt, lässt vorn und achtern, an Back- und Steuerbord nur einen halben Meter Platz. Der Kapitän kurbelt am Steuerrad, kommt ins Schwitzen. Wie nah die Bordwand an der Schleusenkammer ist, kann Mindt nur durch schmale, im Führhaus angebrachte Durchlässe - ähnlich Schießscharten - sehen. Die Strömung lässt die "Sansibar" einmal die Wand touchieren, dann ist es geschafft. Die Tore schließen sich, in Kürze geht es weiter.

Mindt gönnt sich eine Pfeife. Warum er zur See fuhr? "Jeder, der einen Freddy-Quinn-Film gesehen hatte, wollte Kapitän werden", sagt er rückblickend. Doch nach der Matrosen-Ausbildung mit Fahrten in die Karibik, nach Australien, Afrika und Südamerika sowie zwei Jahren als Matrose auf Nord- und Ostsee ging er 1965 zur Bremer Polizei. Mindt wollte keine Zeit verschenken und mehr Geld verdienen. Die großen Fahrten hat er bei der Wasserschutzpolizei nicht vermisst. "Nö, ich hab’ ja eine liebe Frau. Gestern hab’ ich ihr das noch mal erklärt." Da war Hochzeitstag: Seit 42 Jahren ist er nun verheiratet, "gefühlt sind das aber 43 Jahre", schmunzelt Mindt, Vater von zwei erwachsenen Kindern.

Das Schleusentor öffnet sich. Die "Sansibar" nimmt Fahrt auf. Bald ist die Hamme-Niederung erreicht. Bei der Abzweigung zum Naturschutzgebiet Breites Wasser sind auf dem Fluss nur noch acht Stundenkilometer erlaubt. Nicht einmal das lässt sich mit dem 170-Tonnen-Schiff fahren, denn bei einem Tiefgang von 90 Zentimetern und einer Wassertiefe von etwa 1,30 Meter würde zu viel Wasser vom Ufer weggesaugt. Doch die "Sansibar" ist ohnehin kein Rennboot: "Bei zwölf Knoten schaut sie mich schief an. Die Lady ist 80 Jahre alt, die geht auf Krücken", sagt Mindt - und fügt hinzu: "Aber, wenn sie erst einmal in Fahrt ist...".

Damit die "Sansibar" in Fahrt bleibt, muss ihr Acht-Zylinder von Klöckner-Deutz von Hand geschmiert werden: Die Dochtschmierung, bei der von Baumwoll-Dochten Öl auf die Kipphebel tropft, gilt als unzuverlässig. Läuft alles wie geschmiert, arbeitet der Saugdiesel mit 152 PS und mit einem "Drehmoment wie eine Dampflok", sagt Betreiber Max Rinke. Immerhin ist die Technik 80 Jahre alt. Laut Schiffsattest wurde die "Sansibar" 1928 auf der Rheinwerft Walsum gebaut. Und diente zunächst als Rheinfähre, wie Rinke vermutet. Sicher ist, dass sie vor der Übernahme durch das Schifffahrtskontor über 15 Jahre lang als "Hanseat" auf der Strecke nach Worpswede fuhr.

Um kurz nach elf Uhr kommt die "Sansibar" vor Neu-Helgoland an. Fingerspitzengefühl ist gefragt: Mindt muss das 25,13 Meter lange Schiff drehen, wo die Hamme lediglich 26 Meter Breite misst. "Auf achtern ist jetzt Blumenpflücken erlaubt", flachst er während des Wendemanövers. Kurz darauf macht Brüning fest. Die Fahrgäste, von denen die "Lady" 104 befördern darf, gehen von Bord oder nehmen an der Hamme-Rundfahrt teil, bevor sie am späten Mittag nach Vegesack zurückschippern. Noch am selben Abend werden ein anderer Bootsführer und die "Sansibar" eine Chartergesellschaft fahren. Dann wird es wieder heißen: "Sansibar abgelegt am Anleger Vegesack."