Es sei ein Weibchen und soll den Winter über viel Lachse aus der Weser gefressen haben. Das Männlein sei in der Nähe und werde fleißig gesucht.
Die mediale Ausstattung des Nordischen Kuriers erlaubte damals zwar keine Bildberichterstattung, dennoch besitzen wir eine Abbildung des Tieres, weil der damalige Rat der "Kaiserlich Freien Reichs- und Hansestadt" Franz Wulfhagen, einen Bremer Rembrandt-Schüler (1624 - 1670), beauftragt hatte, es in Lebensgröße zu malen. So misst das Bild nun 9,55 auf 3,55 Meter. Tierdarstellungen in der Kunst hatten in jener Zeit kaum dokumentarischen Charakter, und es wurde viel phantasiert - zumal bei Exoten oder nicht eben heimischen Tieren wie man auf alten Gemälden sehen kann.
Eine Kleinigkeit an Korrektur konnte sich Wulfhagen allerdings nicht verkneifen: Der Sprout, die Wasserfontäne, deutet nicht gerade auf einen "geschossenen" Wal hin. Doch das Maul friedlich und fast geschlossen, die Flunke flach ruhend - Wulfhagen hielt sich als Künstler ansonsten zurück. Das stattliche Exemplar von neun Meter sechzig hatte sich mit seinem Männchen vermutlich wegen der schmackhaften Lachse in die Lesum locken lassen. In eine Gegend, die dieser sagenumwobenen Gattung von Meerestieren nicht eben wohl gesonnen war, weil von hier aus der Tod seine Fangarme und Waffen ausstreckte. Mittelsbüren war ein Walfängerdorf, vom nahen Vegesack brachen die Fänger auf, um an die begehrten Substanzen heranzukommen, die im Wal schlummerten.
So war es natürlich keine Kleinigkeit, wenn ein solches Tier einem gleichsam vor der Haustür anlandete. Freilich - wo Beute liegt, gibt es leicht Streit, und die Bremer lagen damals mit den Schweden in hartem Zwist. Mit dem Westfälischen Frieden von 1648 hatte das Königreich Schweden die Landeshoheit über das Erzbistum Bremen-Verden gewonnen und das dem Strandufer gegenüberliegende Lesumufer besetzt gehalten.
Ein Ratsprotokoll berichtet über diplomatische Verhandlungen, die Kanzler Bley mit den Schweden führen musste: "Wir hatten auch einen Wallfisch geschossen, und von der schwedischen auf die Bremer Seite gezogen, begehrte die schwedische Seite wenigstens das Skelett." Wenigstens das, denn die Bremer hatten den Wal auf der Schweineweide bereits zerlegt, Thran gebrannt, das Gerippe zusammengefügt und im Rathaus unter die Decke gehängt. Die Bremer hatten ihr Recht mit dem Argument geltend gemacht, der Wal habe sich nach dem Schuss auf den Schlick auf bremischer Seite geworfen. Die Schweden beharrten nicht auf die Rückgabe, das Skelett hängt heute im Überseemuseum.
Denn haben wollte das Bild lange Zeit niemand, keiner der Bürgermeister, auch Henning Scherf nicht. Bis Bürgermeister Jens Böhrnsen die Symbolik schätzen lernte und gestern anlässlich der Anbringung meinte: "Ich freue mich, dass wir damit ein Stück bremischer Geschichte zurück ins Rathaus geholt haben." Es dokumentiere ebenso Bremisches Selbstbewusstsein.
Eine Renovierung des Rathauses und der Zustand des Bildes nach drei Jahrhunderten war wohl der Anlass, weshalb man es mit dem Selbstbewusstsein im Rathaus ab 1965 nicht mehr so eng sah. Zusammengerollt fristete es fortan ein Depotdasein im Überseemuseum - "Rembrandtschüler" als Wulfhagen-Zusatz nutzte nichts, es gibt eben auch minderbegabte Schüler, und das Gemälde ist als Kunst nicht eben stark.
Der Wal war unfreiwillig untergetaucht und so sollte es bleiben, bis begabte Nachfolger von Wulfhagen sich in den frühen Neunzigern des Tieres erinnerten. Der Restaurator der Weserburg, Artur Ketnath, interessierte sich für das Bild, es gab öffentliche Rettungsaufrufe und -aktionen mit Spenden, und Restaurator Markus Freitag aus Kiel richtete das Bild soweit wieder her, dass es 1992 Teil des Kunstprojektes "W(H)ALE" in der Städtischen Galerie werden konnte. Wolfgang Hainke, den das Thema Auftauchen/Abtauchen schon damals faszinierte, baute um den Wal herum eine Neo-Dada- und Fluxus-Umgebung mit Arbeiten seiner Ikonen wie Duchamps (Schachtel im Koffer) oder Freunden wie Richard Hamilton, Daniel Spoerri, Emmet Williams und dem Japaner A-Yo. Mehr als die schönen Dinge, die man aus den erlegten Walen früher herausgeholt hat und die mancher Holden den Leib verschlankte, den sie sich im Lichte einer Wal-Öl-Lampe betrachten konnte, spielte das hochphilosophische Thema Auf- und Abtauchen,
Verschwinden und Wiederkehren die entscheidende Rolle. Der Wal, der die Zivilisation seit den Fahrten der ersten Waljäger ähnlich zu beflügeln begann wie vielleicht nur noch die Rinder im Altertum, ist in Verbindung mit dem Meer als Symbol des Urgrundes, des schöpferischen Chaos’, des Unbewussten, des Ungezügelten und Unzähmbaren eng verbunden. Fast könnte er eine Muse der Künstler sein, wenn nicht soviel Blut von und um ihn vergossen worden wäre.
Im Überseemuseum findet das Bild anschließend einen Platz und wird 1997 noch einmal in Kiel aufwendig restauriert. Rabauken hatten es im Eingangsbereich mit Flaschen beworfen. Die letzte Station vor Bremen war das Schiffahrtsmuseum Bremerhaven - Abteilung Walfang, etwas unpassend, wenn man als Wal auf diese Weise wie in Lesum umkommt. Hans-Joachim Manske hat sich jedenfalls um Tier wie Bild gleichermaßen verdient gemacht, sein jahrelanges Werben fand nun bei Kultursenator und Bürgermeister Jens Böhrnsen ein offenes Ohr.
Auch wenn es nur ein Zwergwal war, ist sein Konterfei doch so monströs, dass der Umgang so ähnlich aufwendig war, als würde man einen erlegten Wal ins Schiff hieven. Stahlseiten vom Dach des Rathauses waren nötig, um ihn an die Wand zu montieren: Möge die neu erwachte, senatorische Zuneigung in Bremen lange währen.
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