Ein kleiner Blick auf die ersten 30 Jahre
Geschäftsgründung und –führung von Grete und Ernst Boes
Am 22 Nov 1974 wurde die Goldene Hochzeit des Ehepaares Boes gefeiert. Hans Hamers, mehr als 4 Jahrzehnte Freund der Familie Boes, hielt die Festrede. Er war von der Familie darum gebeten worden. Ein Auszug dieser Rede folgt nachstehend, um die Zeit von dem Beginn der Geschäftsgründung bis zur Nachkriegszeit anschaulicher zu machen und um zu zeigen, wie schwer die Menschen es gerade in dieser Zeit hatten. Der erste Weltkrieg war gerade überwunden, der zweite stand bevor.
Von einem fertigen Nest, in das man sich nur hineinzusetzen brauchte, konnte nicht die Rede sein. Aus eigenem Erleben habe ich ja keine Kenntnis von diesen Gründerjahren, ich wusste damals ja kaum, wo Bremen lag, aber aus den Erzählungen weiss ich, wie es damals um den Anfang bestellt war. Die Jubilarin hat es mir verraten. Für den Nestbau standen anfangs ganze 50 Reichsmark an „Kapital“ zur Verfügung. Ich scheue mich , diesen Betrag mit „Kapital“ zu bezeichnen. Aber hinter diesen kaum nennenswerten 50 Reichsmark stand ein wirkliches, ein echtes Kapital. Ich meine den Unternehmergeist, die Zielstrebigkeit und die Energie, die sich bis heute wie ein roter Fadenauf dieser Wegstrecke abzeichnet.
Nein, nein, am Anfang der Ehe stand auch nicht die heute übliche Hochzeitsreise nach Mallorca und so, es gab auch kein rauschendes Hochzeitsfest, nein, das sicherlich bescheidene Hochzeitsgewand wurde sogleich mit der Schlachterschürze vertauscht, und es ging an die Arbeit, die die Woche nun künftig sicherlich nicht mit nur 40 Stunden ausfüllte. Das Wort Feierabend war nahezu ein fremder Begriff.
Nun, über den Anfang in dem gepachteten kleinen Eckgeschäft gäbe es sicherlich viel Erquickliches und Unerquickliches zu berichten. Einzelheiten werden in diesen Stunden sicherlich noch wieder lebendig werden. Aber die Frage liegt ja nahe, wie man überhaupt mit schäbigen 50 Reichsmark einen Anfang machen konnte. Die erste Kuh musste doch jedenfalls zunächst einmal gekauft werden, und die kostete damals doch schon immerhin ihre 1000 Reichsmark, ich weiss es deshalb, weil wir damals auch eine Kuh im Stall hatten. Obwohl die beiden Anfänger damals doch völlig fremd in Burg-Grambke waren, fassten die Bauern in der Umgebung eben aufgrund des ehrlichen Gesichtes sogleich Vertrauen und forderten das Geld erst dann, wenn das Rindvieh über den Tresen in bare Münze umgesetzt war.
Doch – die beiden haben es mir anvertraut – das Geld wollte in der Gründerzeit nicht hin und herreichen. Ja, und dann sind sie in den ersten Jahren nicht selten sonntags zu den Eltern nach Lesum gepilgert mit einem schweren Stein auf dem Herzen. Ernst nahm die Gelegenheit wahr, wenn Vater Wragge in den Ziegenstall ging, um das Vieh zu füttern; denn Mutter Wragge durfte davon ja nichts wissen, es gab im Hause Wragge doch viele hungrige Mäuler zu stopfen. Ja, und dann hat der sonst so resolute Ernst wohl ein wenig verlegen herumgedruxt von wegen des schweren Steines auf seinem Herzen, bis Vater Wragge ihn dann davon mit den Worten befreite: „Na, Jung, hest all wedder wat up’t Harten, langt et wedder nicht, wann krieg ick’t enn torügg?!“
Ernst, des Bremer Platt damals vielleicht noch nicht so ganz mächtig: „Sofort, wenn wir verkauft haben“. Ja, und an einem Sonntag hatten die beiden besonderes Glück. Vater Wragge hatte ein Schwein im Stall, das nicht schwerer werden wollte, es war wohl zu faul zum Fressen oder aus unerklärlichen Gründen in den Hungerstreik getreten – so etwas soll es heutzutage ja sogar unter Menschen geben. Also, dieses Schwein schenkte Vater Wragge den beiden, aber mit der Auflage, es sogleich mitzunehmen.
Ja, und nun tritt ein Mann in Erscheinung, mit dem sich meine Wege im Laufe der Jahrzehnte dann noch oft kreuzen wollten, ein Mann voller Tatkraft und Hilfsbereitschaft und aus dem Hause Boes nicht wegzudenken. Als begabter Experte im Tischlerhandwerk – er war Schiffszimmermann – ist er im Hause Boes oft in Erscheinung getreten. Es war Onkel Heinrich, der Bruder von Gretchen Boes. Er hatte kunstgerecht einen Kasten auf den Kinderwagen gebastelt. Mit diesem Gefährt, in dem Mutter Wragge die Ferkel vom Lesumer Markt zu holen pflegte, traten dann die beiden jungen Schlachersleute im Sonntagsstaat den Weg von Neulesum nach Burg an, ein Schwein vor sich herschiebend, ob als Leiche oder noch lebend, ist mir nicht überlieft. Die Kinderwagen scheinen damals noch nicht so der Mode unterworfen gewesen zu sein, jedenfalls dieser Kinderwagen hatte sich schon bei 10 Kindern verdient gemacht. Unsere Jubilarin war gute zwanzig Jahre vorher in dem Vehikel spazieren gefahren worden, in dem sie jetzt das Schwein vor sich herschob.
Ja, mit der Motorisierung war es damals noch nix. Ernst musste damals sein Schlachtvieh von weit her mit dem Handwagen herbeischaffen und die Kunden per Fahrrad beliefern, bei Wind und Wetter, mit der Molle auf der Schulter. Ja, liebe Freunde, gedenket vergangener Zeiten, damit Ihr das Heute begreifen könnt. Einst und jetzt ist die Überschrift so mancher Betrachtungen.
Die eingangs erwähnte Energie und Zielstrebigkeit liessen die Früchte natürlich nicht so schnell reifen, wie das in der jüngsten Vergangenheit so oft der Fall ist. Die Sorgen waren in den 20er und 30er Jahren ständige Begleiter. Bei grösseren Zahlungsschwierigkeiten wanderten Briefe nach Hildesheim, dort wohnte Ernst‘s Schwester Emmi mit ihrem Mann Richard, auch mir wohlbekannt. Wie es sich für einen echten, von Ordnungsliebe beseelten preussischen Beamten gehörte, hat der gute Onkel Richard alle Bittschriften und Rückzahlungsscheine verwahrt als Dokumente für die folgende Generation: EINST UND JETZT.
Ans Ausgehen – heute sagt man Party oder Fete – wurde kaum ein Gedanke verschwendet. Und wenn die beiden einem Feste gar nicht ausweichen konnten, war Sparsamkeit oberstes Gebot. 1,75 Reichsmark wurden einmal als Ausgabe registriert, ein anderes Mal sollen es allerdings sogar 10 Reichsmark gewesen sein. Für ganz besondere unvorhergesehene Engpässe hatte die tüchtige Haus- und Geschäftsfrau aber gleichwohl vorgesorgt. Im Wäscheschrank war ein Notgroschen deponiert, der Ernst zunächst wohl verborgen blieb, später aber von ihm doch entdeckt wurde.
Viele Gäste wissen um die Stationen, die am Wege dieser 50 Jahre liegen, fast alle kennen wir das Haus an der Lesumer Brücke neben Villa Lesumblick. Auf dieser Station, die immerhin eine Zeit von 26 Jahren von 1926 bis 1952 umspannt, wurde nun doch wohl das eigentliche und tragende Fundament gelegt für den weiteren Aufstieg. Vater Wragge hatte dieses Haus gekauft. Kurz danach ist er auf tragische Weise ums Leben gekommen, so mussten Ernst und Gretchen das schwere Erbe mit hohen Schulden antreten, der Vater hatte ja mit ihnen gemeinsam das Haus und das Geschäft aufbauen wollen.
An diesem Haus knüpfen sich für mich die meisten Erinnerungen. Wie ich an diese Adresse kam, daran vermag ich mich nicht mehr genau zu erinnern. Auf jeden Fall bin ich als Junggeselle – damals Reichsbahnzivilsupernumerar auf der Station Bremen-Burg – vom Grambker See in Grambkermoor nach Burg in die Burger Heerstrasse 48 umgesiedelt. Es war nur ein gutes ¼ Jahr, das ich in dem gastlichen Hause Boes verbringen durfte, bis ich im Mai der Reichsbahn Lebewohl sagte. Aber diese drei Monate waren von entscheidender Bedeutung in zweifacher Hinsicht, zum ersten war von diesem Augenblick an ein schnellerer wirtschaftlicher Aufstieg unverkennbar, zahlte ich doch als möblierter Herr immerhin 75 Reichsmark mit voller Pension und fast totalem Familienanschluss. Nebenbei bemerkt, mein „Gehalt“ betrug 89 Reichsmark. Wieviel verbleib mir da wohl an Taschengeld? Aber das wichtigere Element war wohl in der Grundsteinlegung einer Freundschaft, die sich bis zum heutigen Tage nicht nur erhalten, sondern seither ständig vertieft hat.
Plaudere ich aus der Schule, wenn ich verrate, dass der Abschied damals nicht ganz ohne Tränen vonstatten ging. Ich sehe Mutti Boes noch winkend in der Haustür stehen, bis ich dann auf dem Wege zur Strassenbahn ihren Blicken entschwand. Aus den Augen, aus dem Sinn? Wäre normal für einen „möblierten Herrn“, aber weit gefehlt. Bremen-Burg wurde für mich das zweite Zuhause, zu dem ich regelmäßig zurückkehrte, später auch mit meiner Frau.
Als ich im Februar 1939 erkrankte, waren es Grete und Ernst Boes, die mich in Bad Rehburg, wo ich mich zur Kur aufhielt, besuchten und mich einfach rührend versorgten. Es würde zu weit führen, hier nun den Ausbruch des Krieges, Ernst zeitweilige Einberufung usw. im einzelnen darzulegen. Es kam die Nachkriegszeit, die mich persönlich den Beruf kostete und uns alle auf den Nulltarif zurückbrachte. Die Zeit der Entbehrung und der Lebensmittelmarken nahm noch strengere Formen an als in den Kriegszeiten selbst. Über den Neubeginn im Hause Boes würde es sich lohnen, ein besonderes Kapitel anzufügen.
Hier zeigte sich die eingangs erwähnte Energie, der Fleiss und die Anpassungsfähigkeit von Grete und Ernst aufs neue. Die Volksküche ist nur ein Stichwort, das für sich spricht. Mit ihr fuhr Ernst durch die Umgebung. Ich habe ihn manches Mal begleitet. Gewiss, das Fundament stand noch, aber unsere Wirtschaft war doch gewissermassen bis auf die Grundmauern zerstört. Das Haus wurde aber in Burg durch zähes Ringen Stock für Stock wieder aufgebaut, fast in wörtlichem Sinne. Es hatte ja auch einen Bombentreffer abbekommen. Der vorhin erwähnte Kinderwagenumbau-SpezialistOnkel Heinrich war hierbei eine unersetzliche Stütze. Auch Gretes Geschwister Tante Sophie und Onkel Judel, die nach dem 1. Weltkrieg nach Amerika ausgewandert waren, haben die Burger liebevoll mit Textilien und Nahrungsmitteln versorgt. „
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