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Wasserhorst







 

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Das Wasserhorster Pastorenhaus

 

Einige Weser-Kurier-Artikel vom 20.5.2008 von Sylvia Wörmke und Iris Messerschmidt

Paradies mit Schattenseiten

So empfindet es Claudia Scholz. Sie ist noch relativ neu im Dorf, lebt hier mit Mann und drei Kindern seit zweieinhalb Jahren. Sie wurden freundlich aufgenommen. "Es gibt hier bestimmte Rituale" - darüber werden Neue gleich informiert. Die Nachbarn stellen sich vor, erzählen von den Bräuchen und Traditionen. Wer will, kann sich anschließen, sich auf diese Weise in die Dorfgemeinschaft integrieren, wer nicht, lässt es bleiben. Die 35-Jährige wollte. "Ich finde das alles sehr nett." Sie schätzt "das andere Leben" hier, das nicht so anonym ist. Man habe aber seine Privatsphäre, könne sich jederzeit zurückziehen.

Liebe auf den ersten Blick

"Es sind feste Nachbarschaftsriten, ungeschriebene Gesetze, um das Leben hier miteinander zu regeln", erzählt Renate Vollmer, Expertin für alle Themen, die mit Wasserhorst und dem Blockland zu tun haben. Die 70-jährige Schriftführerin des Heimatvereins weiß so ziemlich alles von damals und heute, ob sie nach historischen Fakten gefragt wird oder nach dem Leben in dem idyllischen Ort am nördlichen Zipfel von Bremen. Renate und Gerhard Vollmer, die früher eine Aufzugsfirma in der Stadt besaßen, haben Wasserhorst als Wohnort vor 40 Jahren für sich entdeckt. "Es war Liebe auf den ersten Blick", die bis heute anhält.

Sie gehören schon lange dazu, kennen noch den speziellen Wickelkuchen der verstorbenen Oma Gartelmann. Das Ehepaar ist auch bereit, die Pflichten in der Gemeinschaft zu übernehmen. Sie werden unter dem Begriff "Bauernmahl" zusammengefasst. Geregelt ist, wer wann wen einmal im Jahr einlädt, was aufgetischt wird und was absolut nicht geht oder wer bei Hochzeiten und Beerdigungen bestimmte Aufgaben übernimmt.

Die Regeln haben praktische und zeitliche Gründe, die mit den Lebensbedingungen der Dörfler von früher zu tun haben. Butterkuchen zum Beispiel war schnell nebenbei gebacken und die Einladungsregeln basieren darauf, dass man bei der Vielzahl der Köpfe im Dorf nicht alle bewirten konnte. Es sind heute die Älteren, die noch damit leben. "Wir wollen das bewusst erhalten", sagt Renate Vollmer. Die jüngere Generation pickt sich heraus, was ihr so passt.

Maren Hoppe, die den Hof ihrer Eltern übernommen hat, kann schon aus Zeitgründen nicht bei jedem Geburtstagskind vormittags von 11 bis 13 Uhr auftauchen. "Meine Eltern sind aber ja auch noch in den Traditionen engagiert", verweist sie auf ihre Stellvertreter. Die 33-jährige Agrar- und Landschaftsentwicklerin betrachtet manches gelassener, was die Rituale angeht, als ihre Eltern Hella und Bernhard Hoppe. Doch auch sie sagt: "Man muss bereit sein, sich zu integrieren", sonst ist man außen vor."

Der Pastor gehört ins Dorf

INFO

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Das gilt zum Beispiel für die ständig wechselnden Mieter in einem Mehrfamilienhaus am Anfang des Dorfes. "Die da unten", sagt man im Dorf. Auch über das schmucklose, moderne Gebäude, das so gar nicht nach Meinung einiger Alteingesessener in die ländliche Umgebung passt, gibt es kritische Kommentare. Dass die Pastorin inzwischen nicht mehr im Dorf wohnt, mit ihrer Familie nach Findorff umgezogen ist, wird als "unmöglicher Zustand" bezeichnet. Die Einstellung herrscht vor: "Der Pastor gehört ins Dorf." Man ärgert sich auch darüber, dass die Öffnungszeiten im Gemeindebüro von der Kirchengemeinde aus finanziellen Gründen eingeschränkt wurden. Pastorin Ulrike Krusch-Jung kennt die Einstellung, die sie nicht teile, zumal sie regelmäßig vor Ort sei, und die Vorbehalte ihr gegenüber, worauf sie etwas verschnupft reagiert. Sie begründet aber den Umzug mit "vielen persönlichen Gründen", die mit der Gemeinde und dem Ort überhaupt nichts zu tun hätten. Doch trotz des Grummelns im Ort bezeichnet sie die Gemeinschaft als etwas Besonderes, vor allem, "dass man sich gegenseitig so hilft".

Nachbarn organisieren Beerdigung

Darum geht es auch - sich in Freud und Leid beizustehen. "Wenn jemand Hilfe braucht, sind die anderen da", bestätigt Renate Vollmer. Zum Beispiel als Bernhard Hoppe einen schweren Unfall auf dem Hof hatte und als im April einer von ihnen, Dieter Bavendamm, der Besitzer vom Ausflugslokal Zum Wiesenheim, tot hinter der Theke aufgefunden wurde, kümmerten sich die Nachbarn um ein würdiges Begräbnis. Mit allem, was dazugehört, weil es nach dem Tod seiner Lebensgefährtin, den er nicht verwinden konnte, keine Angehörigen mehr gibt. Niemand wollte, dass ein Nachlassverwalter ihn anonym irgendwo außerhalb von Wasserhorst bestatten lässt. Nun ruht er auf dem alten Friedhof neben der Kirche.

"Natürlich war ich auch bei der Beerdigung dabei", sagt Landwirt Hinrich Harbers, obwohl er momentan viel zu tun hat. Schließlich sei man miteinander aufgewachsen und befreundet gewesen. Als einer der vier Landwirte im Ort, die noch einen Vollerwerbsbetrieb führen, das heißt, "ganz und gar davon leben", kann er sich aber sonst in Aktivitäten im Ort nicht viel einbringen. Er war mal Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr, weil er aber so oft keine Zeit hatte, an den Übungsabenden teilzunehmen, es dafür kein Verständnis gab, ließ er es bleiben. An Geselligkeiten der Feuerwehr nimmt der 43-Jährige aber ab und zu noch teil.

Schatten über dem Paradies

"Besonders im Sommer haben wir von morgens ab fünf Uhr bis 22 oder 23 Uhr stramm zu tun", beschreibt er das Leben auf dem Hof. Er hat den Betrieb mit 170 Kühen, Rindern, Bullen und Kälbern - Milch- und Fleischproduktion, zusätzlich werden 75 Hektar Ackerflächen bewirtschaftet - von Vater Hinrich gepachtet. Seine Eltern, beide über 70, und seine Frau Nicole arbeiten im Familienbetrieb mit.

Anders als die Rentner im Dorf haben die noch aktiven Landwirte nur wenig Muße, die schöne Landschaft und Natur in vollen Zügen zu genießen. Dennoch schätzen sie es, in Wasserhorst zu leben. "Das Leben hier ist natürlich wunderbar und die Umgebung superschön", sagt Hinrich Harbers. Seine Branche aber ist es auch, die zu bestimmten Zeiten im Jahr Schatten über das Paradies durch Lärm und Gestank wirft. Es gibt Beschwerden über die schweren Trecker, die zur Erntezeit durchs Dorf fahren und über die Güllefahrzeuge beziehungsweise, wenn Gülle auf die Felder aufgebracht wird.

Dann hängt der Haussegen in Wasserhorst schief. Über die klirrenden Scheiben durch die großen Geschosse wird geschimpft, dass man nicht mal die Wäsche draußen aufhängen kann... Hinrich Harbers weiß, dass einige genervt sind. "Sie ärgern sich, aber holen nicht die Polizei." Er kennt das aus anderen Orten. Es gebe aber auch Leute im Dorf, die Verständnis zeigten. Dazu gehört Claudia Scholz. "Uns stört das nicht und wenn, hätte man eben nicht hierher ziehen dürfen." Sie schätzt vielmehr, dass ihre Kinder auch mal bei Harbers oder Gartelmanns auf dem Trecker mitfahren oder auf den Höfen sein dürfen, sie hier im Dorf ihren Freiraum haben.

Keine heile Welt

In Wasserhorst wird gestritten, geneidet, geschnackt, geweint, gelacht, gefeiert - so wie überall woanders auch. "Es ist hier keine heile Welt. Wir streiten uns auch, aber gegen Fremde halten wir immer zusammen", beschreibt Renate Vollmer ihr Gefühl für das Leben in ihrem Dorf. Und eine Gruppe haben die Wasserhorster, ob jung oder alt, besonders auf Sicht: Die Radrennfahrer, die bei schönem Wetter im Pulk durchs Dorf brettern. "Die sind eine Plage", sagt die 72-jährige Ursula Harbers und seufzt: "Früher war es schöner hier."


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Wasserhorst Höfe in Wasserhorst Schule Wasserhorst Fotos aus Wasserhorst 1 Fotos aus Wasserhorst 2 Sagen & Sagenhaftes Die Braut von Wasserhorst Ein Schuster wird Schulmeister Der silberne Pflug mit Federvieh bespannt Wie Wasserhorst entstanden sein soll   Das Wasserhorster Pastorenhaus   Einige Weser-Kurier-Artikel vom 20.5.2008 von Sylvia Wörmke und Iris Messerschmidt Paradies mit Schattenseiten So empfindet es Claudia Scholz. Sie ist noch relativ neu im Dorf, lebt hier mit Mann und drei Kindern seit zweieinhalb Jahren. Sie wurden freundlich aufgenommen. "Es gibt hier bestimmte Rituale" - darüber werden Neue gleich informiert. Die Nachbarn stellen sich vor, erzählen von den Bräuchen und Traditionen. Wer will, kann sich anschließen, sich auf diese Weise in die Dorfgemeinschaft integrieren, wer nicht, lässt es bleiben. Die 35-Jährige wollte. "Ich finde das alles sehr nett." Sie schätzt "das andere Leben" hier, das nicht so anonym ist. Man habe aber seine Privatsphäre, könne sich jederzeit zurückziehen. Liebe auf den ersten Blick "Es sind feste Nachbarschaftsriten, ungeschriebene Gesetze, um das Leben hier miteinander zu regeln", erzählt Renate Vollmer, Expertin für alle Themen, die mit Wasserhorst und dem Blockland zu tun haben. Die 70-jährige Schriftführerin des Heimatvereins weiß so ziemlich alles von damals und heute, ob sie nach historischen Fakten gefragt wird oder nach dem Leben in dem idyllischen Ort am nördlichen Zipfel von Bremen. Renate und Gerhard Vollmer, die früher eine Aufzugsfirma in der Stadt besaßen, haben Wasserhorst als Wohnort vor 40 Jahren für sich entdeckt. "Es war Liebe auf den ersten Blick", die bis heute anhält. Sie gehören schon lange dazu, kennen noch den speziellen Wickelkuchen der verstorbenen Oma Gartelmann. Das Ehepaar ist auch bereit, die Pflichten in der Gemeinschaft zu übernehmen. Sie werden unter dem Begriff "Bauernmahl" zusammengefasst. Geregelt ist, wer wann wen einmal im Jahr einlädt, was aufgetischt wird und was absolut nicht geht oder wer bei Hochzeiten und Beerdigungen bestimmte Aufgaben übernimmt. Die Regeln haben praktische und zeitliche Gründe, die mit den Lebensbedingungen der Dörfler von früher zu tun haben. Butterkuchen zum Beispiel war schnell nebenbei gebacken und die Einladungsregeln basieren darauf, dass man bei der Vielzahl der Köpfe im Dorf nicht alle bewirten konnte. Es sind heute die Älteren, die noch damit leben. "Wir wollen das bewusst erhalten", sagt Renate Vollmer. Die jüngere Generation pickt sich heraus, was ihr so passt. Maren Hoppe, die den Hof ihrer Eltern übernommen hat, kann schon aus Zeitgründen nicht bei jedem Geburtstagskind vormittags von 11 bis 13 Uhr auftauchen. "Meine Eltern sind aber ja auch noch in den Traditionen engagiert", verweist sie auf ihre Stellvertreter. Die 33-jährige Agrar- und Landschaftsentwicklerin betrachtet manches gelassener, was die Rituale angeht, als ihre Eltern Hella und Bernhard Hoppe. Doch auch sie sagt: "Man muss bereit sein, sich zu integrieren", sonst ist man außen vor." Der Pastor gehört ins Dorf INFO No image specified. One of the following parameters must be set: fileId, randomGalleryId, fgalId, attId, id, or src. Das gilt zum Beispiel für die ständig wechselnden Mieter in einem Mehrfamilienhaus am Anfang des Dorfes. "Die da unten", sagt man im Dorf. Auch über das schmucklose, moderne Gebäude, das so gar nicht nach Meinung einiger Alteingesessener in die ländliche Umgebung passt, gibt es kritische Kommentare. Dass die Pastorin inzwischen nicht mehr im Dorf wohnt, mit ihrer Familie nach Findorff umgezogen ist, wird als "unmöglicher Zustand" bezeichnet. Die Einstellung herrscht vor: "Der Pastor gehört ins Dorf." Man ärgert sich auch darüber, dass die Öffnungszeiten im Gemeindebüro von der Kirchengemeinde aus finanziellen Gründen eingeschränkt wurden. Pastorin Ulrike Krusch-Jung kennt die Einstellung, die sie nicht teile, zumal sie regelmäßig vor Ort sei, und die Vorbehalte ihr gegenüber, worauf sie etwas verschnupft reagiert. Sie begründet aber den Umzug mit "vielen persönlichen Gründen", die mit der Gemeinde und dem Ort überhaupt nichts zu tun hätten. Doch trotz des Grummelns im Ort bezeichnet sie die Gemeinschaft als etwas Besonderes, vor allem, "dass man sich gegenseitig so hilft". Nachbarn organisieren Beerdigung Darum geht es auch - sich in Freud und Leid beizustehen. "Wenn jemand Hilfe braucht, sind die anderen da", bestätigt Renate Vollmer. Zum Beispiel als Bernhard Hoppe einen schweren Unfall auf dem Hof hatte und als im April einer von ihnen, Dieter Bavendamm, der Besitzer vom Ausflugslokal Zum Wiesenheim, tot hinter der Theke aufgefunden wurde, kümmerten sich die Nachbarn um ein würdiges Begräbnis. Mit allem, was dazugehört, weil es nach dem Tod seiner Lebensgefährtin, den er nicht verwinden konnte, keine Angehörigen mehr gibt. Niemand wollte, dass ein Nachlassverwalter ihn anonym irgendwo außerhalb von Wasserhorst bestatten lässt. Nun ruht er auf dem alten Friedhof neben der Kirche. "Natürlich war ich auch bei der Beerdigung dabei", sagt Landwirt Hinrich Harbers, obwohl er momentan viel zu tun hat. Schließlich sei man miteinander aufgewachsen und befreundet gewesen. Als einer der vier Landwirte im Ort, die noch einen Vollerwerbsbetrieb führen, das heißt, "ganz und gar davon leben", kann er sich aber sonst in Aktivitäten im Ort nicht viel einbringen. Er war mal Mitglied in der Freiwilligen Feuerwehr, weil er aber so oft keine Zeit hatte, an den Übungsabenden teilzunehmen, es dafür kein Verständnis gab, ließ er es bleiben. An Geselligkeiten der Feuerwehr nimmt der 43-Jährige aber ab und zu noch teil. Schatten über dem Paradies "Besonders im Sommer haben wir von morgens ab fünf Uhr bis 22 oder 23 Uhr stramm zu tun", beschreibt er das Leben auf dem Hof. Er hat den Betrieb mit 170 Kühen, Rindern, Bullen und Kälbern - Milch- und Fleischproduktion, zusätzlich werden 75 Hektar Ackerflächen bewirtschaftet - von Vater Hinrich gepachtet. Seine Eltern, beide über 70, und seine Frau Nicole arbeiten im Familienbetrieb mit. Anders als die Rentner im Dorf haben die noch aktiven Landwirte nur wenig Muße, die schöne Landschaft und Natur in vollen Zügen zu genießen. Dennoch schätzen sie es, in Wasserhorst zu leben. "Das Leben hier ist natürlich wunderbar und die Umgebung superschön", sagt Hinrich Harbers. Seine Branche aber ist es auch, die zu bestimmten Zeiten im Jahr Schatten über das Paradies durch Lärm und Gestank wirft. Es gibt Beschwerden über die schweren Trecker, die zur Erntezeit durchs Dorf fahren und über die Güllefahrzeuge beziehungsweise, wenn Gülle auf die Felder aufgebracht wird. Dann hängt der Haussegen in Wasserhorst schief. Über die klirrenden Scheiben durch die großen Geschosse wird geschimpft, dass man nicht mal die Wäsche draußen aufhängen kann... Hinrich Harbers weiß, dass einige genervt sind. "Sie ärgern sich, aber holen nicht die Polizei." Er kennt das aus anderen Orten. Es gebe aber auch Leute im Dorf, die Verständnis zeigten. Dazu gehört Claudia Scholz. "Uns stört das nicht und wenn, hätte man eben nicht hierher ziehen dürfen." Sie schätzt vielmehr, dass ihre Kinder auch mal bei Harbers oder Gartelmanns auf dem Trecker mitfahren oder auf den Höfen sein dürfen, sie hier im Dorf ihren Freiraum haben. Keine heile Welt In Wasserhorst wird gestritten, geneidet, geschnackt, geweint, gelacht, gefeiert - so wie überall woanders auch. "Es ist hier keine heile Welt. Wir streiten uns auch, aber gegen Fremde halten wir immer zusammen", beschreibt Renate Vollmer ihr Gefühl für das Leben in ihrem Dorf. Und eine Gruppe haben die Wasserhorster, ob jung oder alt, besonders auf Sicht: Die Radrennfahrer, die bei schönem Wetter im Pulk durchs Dorf brettern. "Die sind eine Plage", sagt die 72-jährige Ursula Harbers und seufzt: "Früher war es schöner hier."