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Deichhauptmann Michael Schirmer beschreibt die Folgen der Weservertiefungen für die Wümmeniederung im Blockland.


"Es gibt Aufzeichnungen des Botanikers Wilhelm Olbers Focke aus dem Jahre 1906, wo er genau beschreibt, wie See- und Teichrosen die Seitenarme der Wümme bedecken", sagt Gunnar Oertel, Geschäftsführer der Stiftung Nordwest Natur. Diese alten Ortsbeschreibungen seien ein Beweis dafür, wie stark sich die Flusslandschaft verändert habe Wer heute mit dem Kanu auf dem Wasser unterwegs sei, müsse lange Ausschau halten, bis er Wasserpflanzen entdecke. Folgen einer Entwicklung, die der Umweltverband BUND stoppen will. Er wehrt sich mit einer Klage gegen die weitere Vertiefung der Weser.

Der Grund für die Veränderungen in der Wümmeniederung liegt für Michael Schirmer, Deichhauptmann am Rechten Weserufer, auf der Hand: Die Weser wird seit Jahrzehnten immer weiter ausgebaggert. Dadurch nehmen die Ausmaße von Ebbe und Flut auch in den Nebenflüssen zu. Dies wird am Tidenhub deutlich - so bezeichnen Fachleute den Unterschied des Wasserpegels bei Ebbe und Flut. Verglichen mit den 50er-Jahren ist der Tidenhub in der Wümme heute fast doppelt so hoch.

"Damit hat sich auch die Fließgeschwindigkeit des Wassers drastisch erhöht", weiß Schirmer. Durch den verstärkten Schwung gräbt sich die Wümme langsam einen neuen Lauf. Der Fluss verlässt das Bett, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat. "Kritisch wird es dort, wo die Wümme direkt auf den Deich stößt", so der Deichhauptmann. Das Ergebnis: Immer wieder werden die Steine, die die Deiche befestigen, abgetragen und Uferkanten abgebrochen. Teilweise mussten Spundwände errichtet werden, um Land und Deich zu schützen.

Doch nicht nur der Deich wird von dieser Entwicklung beeinträchtigt - Leidtragende sind in erster Linie die Pflanzen und Tiere. Aus diesem Grund hat der BUND vor dem Bundesverwaltungsgericht Klage gegen eine weitere geplante Weservertiefung eingereicht. Im Mai soll es einen Termin am Wümmedeich geben, bei dem Naturschützer ihre Bedenken vor Ort verdeutlichen können.

Die Flusslandschaft Wümme ist europäisches Schutzgebiet. Fischotter und Meerneunaugen sind hier zu Hause. "Andere Arten hingegen, wie die seltene Knäkente, finden wegen des unnatürlichen Tidenhubs keine Brutplätze mehr", so der Geschäftsführer der Stiftung Nordwest Natur. Auch die Rohrdommel - sie steht auf der Roten Liste der bedrohten Tiere - brauche eine natürliche Landschaft. Durch die Veränderung des Flusses sei der Lebensraum der Fische ebenfalls beeinträchtigt, und Frösche finden keine Laichplätze mehr. Das seltene Sumpf-Greiskraut an der Wasserkante wird einfach weggespült.

"Das Thema beschäftigt uns schon seit Jahrzehnten", ärgert sich Schirmer. "Nach der Vertiefung ist sofort wieder vor der Vertiefung." Seiner Meinung nach sind die wirtschaftlichen Gründe für einen weiteren Ausbau der Weser nicht zwingend.

An der Wümme werde viel Geld für die Renaturierung ausgegeben, so Gunnar Oertel - auf der anderen Seite werde ebenfalls viel Geld in die Weservertiefung investiert. "Und dann wird wieder investiert, um die Schäden der Vertiefung zu beseitigen - das ist doch Verschwendung von Steuergeldern." Allein Niedersachsen will laut Schirmer 50 Millionen Euro bereitstellen, um die Nebenwirkungen zu kompensieren.

Wie sich der Fluss verändert, das bekommen die direkten Anwohner hautnah mit. Einige Höfe stehen bereits seit mehreren Generationen am Wümmedeich. Am kommenden Sonnabend, 17. März, werden Landwirte auf einer Informationsveranstaltung der Stiftung über ihre Beobachtungen berichten. (Anmeldung unter Telefonnummer 71006 bei der Stiftung Nordwest Natur)