Dabei hat er schon eine neue Bleibe für sich und seine Frau gefunden. "Wir können aber erst in das neue Haus ziehen, wenn wir von der Stadt das Geld für das alte bekommen haben", sagt der Rentner. Von der zuständigen Behörde habe er bis jetzt nur die Auskunft bekommen, dass das noch dauert, weil die Gelder von der EU aus Brüssel kämen. Wie lange er noch zwischen den Ruinen ausharren müsse, wisse er nicht. "Dann sind wir sofort weg! Hier hält uns ja nichts mehr!"

An die Zeiten, in der das Leben in der Arbeitersiedlung Hüttenstraße pulsierte, erinnert nichts mehr. Passanten fühlen sich wohl eher in ein Bürgerkriegsszenario versetzt: In vielen Häusern sind die Fensterscheiben eingeschlagen, bei anderen sind die Türen mit Brettern vernagelt, zwischen den übrig gebliebenen Gebäuden klaffen große Lücken. "Als hier das Haus abgerissen wurde, bin ich fast aus dem Bett gefallen", berichtet Fritz Behlke und zeigt auf die Brachfläche zwei Grundstücke neben seinem Häuschen.

Nachts sei es am schlimmsten, dann hätten er und seine Frau Angst vor Plünderern. Die Straßenlaterne vor dem Haus funktioniert zwar noch, aber nach Einbruch der Dunkelheit wird es gruselig in der Hüttenstraße. "Die Plünderer kommen mit Transportern, und wir hören dann, wie sie in den anderen Häusern herum steigen und dort alles abmontieren, was sie mitnehmen können", so Behlke. Heizkörper würden aus Häusern getragen, auch Kupferrohre oder Regenrinnen. "Die werden richtig dreist. Ich habe schon welche aus meinem Garten gejagt." Vor einigen Wochen wurde ein Metallzaun, der die Brache sichern sollte, abgebaut und abtransportiert. "Heute Morgen waren jetzt welche von der Stadt da und haben bei einigen Häusern Fenster und Türen vernagelt, damit die Plünderer nicht mehr reinkommen", sagt der Grambker.Arbeitergeschichte geschrieben

Seit 44 Jahren lebt Fritz Behlke mit seiner Ehefrau in dem kleinen Reihenhaus. Damals waren sie froh, mit drei kleinen Kindern eine Bleibe gefunden zu haben. Fritz Behlke ist in der Hüttenstraße geboren, sein altes Elternhaus ist inzwischen schon abgerissen worden. Dort wurde Arbeitergeschichte geschrieben: In den Jahren 1910 / 11 wurde die Hüttenstraße als Wohnsiedlung für Arbeiter der Norddeutschen Hütte gebaut, über 100 Familien wohnten dort. Das Leben vor den Toren der späteren Stahlwerke war hart, aber man hielt zusammen. In den 20er Jahren tobten dort erbitterte Arbeitskämpfe.

"Wir wollen hier nur noch weg", sagt Fritz Behlke. Die Gärten der ehemaligen Nachbarn werden inzwischen von Unbekannten als Müllkippe missbraucht. Dort, wo früher die Lauben standen, stapelt sich heute der Unrat. "Das fehlt jetzt noch, dass hier die Ratten kommen!" sagt Behlke. Seine Enkel kommen jetzt regelmäßig vorbei und leisten ihm Gesellschaft, damit er nicht ganz alleine ist. "Wir wollen Präsenz zeigen", sagt sein Enkel. "Ich habe doch auch keine ruhige Minute mehr, wenn ich weiß, dass mein Opa hier ganz alleine ist."