Bericht von 1841 über einen Besuch von Otto Friedrich Wehrhan, bei Pastor Dreier in Mittelsbüren
- Er wurde in Neisse als Sohn eines Magdeburger Pastors geboren. Sein Vater starb schon 1808, dennoch absolvierte der Sohn ein Theologiestudium; 1813 / 14 machte er die Freiheitskriege mit, wurde zweimal verwundet und geriet in französische Gefangenschaft. Seinen weiteren Lebensweg kann man im Buch „Bremen in alten Reisebeschreibungen“ von Herbert Schwarzwälder, Edition Temmen, nachlesen. 1841 wanderte er über Rotenburg und Ottersberg nach Bremen, wo 48 Portraits entstanden. Im November 1841 reiste Wehrhan mit dem Schiff nach Bremerhaven und Lehe, wo er ebenfalls Portraits malte. Dann Cuxhaven, Hamburg und Rückkehr nach Sachsen.
- Nachfolgend seiner darin enthaltenen Erzählung vom Besuch bei Pastor Dreier aus Büren:
Ganz anders ist die Gegend im Nordwesten von Bremen, am Weserufer hinab. Dorthin entführte mich in seiner eleganten Kutsche Pastor Dreier aus Büren, den ich nebst seiner jungen Gattin, welche mit uns fuhr, und ein paar Kinder zeichnen sollte. Es war am 25.10.1841, einem düsteren regnerischen Tage, um vier Uhr nachmittags, also der Abend schon nahe, als wir von Bremen abfuhren. So lange wir auf der zwar schmutzigen, doch festen Grund habenden Chaussee nach Vegesack blieben, ging es ganz gut und immer im Trabe, als wir aber links ab, von der Hochstraße hinunter, nach der Weser zu lenkten, begann eine Fahrt, die mir unvergesslich sein wird. Gleich anfangs empfing uns ein unebener mit Sträuchern besetzter weicher Rasen. Dann ging es durch Wasserpfützen und Wasserlöcher an einer fahlen Wiese voll Gräben und Tümpeln hin, endlich steil hinauf auf den Erddamm, der die Weser begleitet und auf dem wir nun bis Büren bleiben wollten. Schon war es recht dunkel, als wir oben ankamen und nun wieder die Richtung nach rechts einschlugen; doch hellte der Horizont noch etwas, und Pastor Dreier zeigte mir in der Ferne eine Gruppe hoher Bäume als die Stelle, wo Büren liege. Ein weites Ziel für einen solchen Weg! Denn hatten wir vorhin wenigstens stellenweise manchmal ein paar Schritte traben lassen können, so wälzten sich hier die Räder, furchtbar umhüllt mit Schlamm, schneckenlangsam in zähem, zu beiden Seiten der Spur in hohe Wülste aufgetriebenem Kot dahin, und die sehr wackeren Pferde waren manchmal kaum im Stande, weiter zu ziehen. Dazu ward es bald völlig finster. In der Tiefe zur Rechten dehnte sich öde dunkle Fläche, wie ich auf dem Rückwege sah, mit Gräben durchschnittene und hin und wieder mit Weiden besetzte torfige Wiese; in deren Tiefe zur Linken floss die Weser; aus einem Dorfe jenseits derselben drang heiseres Gesängegeschrei bis zu uns herüber. Die hohen Kotränder waren meine Beruhigung, denn sie schützten uns vor dem Hinabgeraten. Auch sagte mir Pastor Dreier, dass man absichtlich den Rücken des Dammes nicht hart mache, um desto sicherer zu fahren.
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Endlich! Endlich dämmerten dicht zu unserer Rechten, mit den Giebeln nur wenig über die Höhe des Dammes empor ragend, in ihren Fenstern hin und wieder ein Lichtlein, Häuser auf. Es war Büren. Aber hier kamen zu guter Letzt noch strohbeladene Wagen uns entgegen. Wir mussten warten, bis sie in ihre Gehöfte hinabgelenkt hatten, sonst hätten sie uns von dem Damme hinunter gedrängt. Erst ganz am Ende der einfachen Häuserreihe, aus denen das ärmliche Dörfchen besteht, kam das Pfarrhaus, nicht höher und von außen nicht besser als die übrigen Hütten. Ein paar Schritte durch tüchtigen Morast, und ich war an der niedrigen, aber doch fast ans Dach stoßenden Haustür, die sich nun öffnete, und uns in das heimliche wohlgewärmte Stübchen einließ, wo Tee, von der Schwester der Frau Pastorin bereitet, mit Butterbrot uns alle, und außerdem noch gutes Bremer Fabrikat, mich und den Confrater (= Amtsbruder) labte.
Drei Tage blieb ich in dieser lieben, herzlich guten Familie und lernte durch die Erzählungen des Pastors Dreier, so wie zum Teil durch eigene Anschauung die Lage und Lebensweise eines bremischen Landpfarrers so ziemlich kennen. Büren an sich würde den Pastor nicht nähren; es bringt kaum 150 Taler. Aber der Pastor hat zugleich noch eine andere Stelle, Grambke, an der Straße nach Vegesack, wo er Äcker hat und das Sommersemester zubringt. So muss er alle Jahre zweimal umziehen, im Frühjahr und im Herbste, und, da die größeren Hausratsstücke dabei auf die Länge sehr leiden würden, beinahe doppeltes Meublement haben. Beide Dörfer nämlich besitzen Mutterkirchen, keine will der anderen Filial sein, und da nun jede einzeln zu schwach ist, um einen Pastor zu erhalten, so haben sie sich auf die angegebene Art in den Pastor geteilt. Desgleichen muss letzterer, sowohl wenn er in diesem, als wenn er in jenem Orte lebt, zuweilen in den anderen, um zu predigen oder actus ministeriales zu verrichten, was in nassen Wintern ein sehr beschwerliches Unternehmen ist. Dann nämlich ist, bis auf Chaussee und Damm, die ganze umliegende Gegend unter Wasser. Bei Frostwetter hindert dies die Kommunikation nicht, au contraire, dann schnallt sich der Pastor die Schlittschuhe an und ist dem gradesten Wege in einer halben Stunde drüben. Ist aber die Überschwemmung offen, so muss er durch die Wasser reiten. Und wehe dieser Gegend, wenn erst die Weser austritt oder einen der Dämme durchbricht! In einem jenseits des Flusses liegenden Dorfe, demselben, woher das Gesängegeschrei tönte, ist es schon öfters vorgekommen, dass alle Bewohner und der Pastor mit ihnen, sich auf die Dachböden retirieren und dort in Kälte und Nässe viele Tage zubringen mussten.
Die Natur um Büren ist, wie man sich schon nach dem Gesagten denken kann, eine höchst traurige. Die Aussicht aus der Wohnstube des Pastors zeigt den einförmigen, dicht vor den Fenstern hinlaufenden Damm, über welche von Zeit zu Zeit die Stenge (!) eines vorbeiziehenden Schiffes oder der qualmende Schornstein des hier täglich auf seinem Wege nach und von Bremerhaven vorbekommenden und durch sein Rädergetöse sich ankündigenden Dampfbootes erscheint. Dies ist dann eine Art Ereignis der grausigen Monotonie; außerdem herrscht in der Regel Todesstille. Doch erblickt man, wenn man hinter das Haus in des Pastors Gärtchen tritt, in der Entfernung einer guten halben Meile den buschigen und mit Landhäusern besetzten Höhenzug von Lesum, der als nördliches Ufer der von Ost kommenden Wümme, dieses träge Moorwasser bis zu dessen Einmündung in die Weser begleitet und dann rechts abschwenkend und noch eine Strecke lang das rechte Ufer der Weser bildend, auch Vegesack trägt. Diese beiden Ortschaften sind den Bremern das, was Blankenese den Hamburgern, doch sind die Höhen niedriger und einförmiger.
Zehn Minuten – wenn man schnell geht – flussabwärts vom Bürener Pfarrhause, ganz isoliert und einsam, liegen Kirche und Küsterwohnung. Aber der Weg ist manchmal so zum Versinken morastig, dass man kaum hin kann. Ich machte einst, bei sehr rauhem Wetter, mit Pastor Dreier einen Abendspaziergang hin, nicht oben auf dem Damme, des dort noch ärger hausenden Sturmes wegen, sondern am Fuße der inneren Seit hin. Nie werde ich dieser, trotz der Unbill der Witterung und trotz der öden Natur doch tiefpoetischen Partie vergessen. O, wie düster-melancholisch stand das sichtlich alte, von rohen Feldsteinen gemauerte Kirchlein mit seinen paar schmalen, tief aus den dicken Wänden hervorblickenden Bogenfensterchen und seinem kurzen, mit morschem Schindelkegel gedeckten Türme, da die schwarze Bahre, fast das Kirchdach erreichend, an das Gemäuer angelehnt, rings umher im eng umschlossenen Kirchhofsraume fahler unebener Rasen mit etlichen zerstreuten Gräbern; jenseits des Dammes, der auch hier den Anblick des Flusses verdeckt, einige Mastenspitzen; neben der Kirche, ihren Turm weit überragend, ein paar alte Bäume, in deren schon entlaubten Ästen der Sturm entsetzlich hauste, und das Ganze düster umflort vom grauen regnerischen Abend! Wäre es nicht schon zu dunkel gewesen, ich hätte mir das wahrhaft Gray’sche Trauerstück gezeichnet.
Hier in Büren fing schon das gelbe schlecht Wasser an, dass mir weiterhin öfter begegnete. Das Hamburger ist noch Kristall dagegen, denn jenes schmeckt stark moderig, und sieht gerade aus wie Urin, so dass ich, als ich es zum ersten Male in meinem Waschbecken erblickte, zauderte, mich damit zu waschen. In besseren Häusern jedoch, so auch bei Pastor Dreier, wird es behufs des Trinkens durch einen sog. Filtrierstein geseiht, wodurch es reine Farbe und reinen Geschmack erhält; das Weichliche bleibt freilich. Jene Filtriersteine sind groß und inwendig trichterförmig. Unten am Rande, wo ein Behälter ist, ragt ein Hahn hervor, aus dem das filtrierte Wasser in das untergehaltene Glas läuft. Doch muss man ungereinigtes Wasser im Vorrat oben hineingießen, weil einige Zeit vergeht, bevor es durchsickert und sich unten sammelt.
In rechtem Kontraste zu der ganzen Pfarrerwohnung und Physiognomie des Dörfchens stand die schon erwähnte schöne moderne Kutsche des Pastors. Er hatte sie in einem kleinen gemauerten Schuppen stehen. In der Stube eines anderen Nebengebäudes gab er den Konfirmandenunterricht.
Nachdem ich meine Zeichnungen vollendet hatte, schied ich von dem traulichen Hause, in welchem die Beobachtung reinen heiteren Familienglückes mir aufs Neue bestätigte, dass zum Wohlbefinden es nicht auf die Natur, sondern auf das Herz und auf die Menschen ankomme, mit welchen wir leben. Mit der Frau Pastorin, welche in Wirtschaftsangelegenheiten nach Grambke musste, fuhr ich, so langsam als ich gekommen, aber diesmal bei Tage, wieder bis auf die Chaussee, und ging dann, ihr wiederholtes Anerbieten, mich noch weiter zu bringen, ausschlagend und meine mitgenommenen Habseligkeiten, ins Schnupftuch gebunden und an dem Ende eines Steckens befestigt über die Achsel, zu Fuß nach Bremen zurück, das mir diesmal gegen das Grabesschweigen und die paar Hütten in Büren wie ein lärmendes Paris vorkam.
Wer sich für Geschichte interessiert, ist dieses Buch mit Briefen und Berichten von Reisenden zu Bremen und Umgebung 1581 – 1847
sehr empfehlenswert! 460 Seiten gefüllt mit interessanten Geschichten.
Edition Temmen, Hohenlohestraße 21, 28209 Bremen – www.edition-temmen.de
Telefon 0421 – 34843-0
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