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Dornröschen schlief in Grambke

Dornröschen schlief in Grambke

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  • Zeitungsartikel vom 15.November 1949

 

  • Image Ingrid Meyer zeigte ihrem Grambker Klassenlehrer gestern das Bild ihrer Großtante Gesine Meyer. Um die Jahrhundertwende hatte Gesine mit ihrem 17 jährigen Dauerschlaf das Interesse der Weltöffentlichkeit auf sich gelenkt. Amerikanische, Schweizer und östereichische Nervenspezialisten hatten sich um das Schlafphänomen Gesine Meyer bemüht. Niemand konnte sie aus ihrem Dornröschenschlaf erwecken, bis heute vor 46 Jahren .....

 

  • Aber die Geschichte begann schon früher, Anno 1872. Da zeigte Landwirt Meyer und Frau hocherfreut die Geburt der Tochter Gesine an. Die Kleine entwickelte sich nicht nur zu einer hübschen, sondern auch zu einer begabten Schülerin. Wenn der Pastor in der Religionsstunde von der Dorfklasse seine Sonntagspredigt niedergeschrieben haben wollte, konnte Gesine mit der wörtlichen Rede des Geistlichen aufwarten. Die schrieb sie so aus dem Gedächtnis. Da machten sich die ersten Zeichen ihrer "Schlafkrankheit" bemerkbar. Als sie eines Abends totmüde ins Bett sank, konnte sie am Morgen niemand wach bekommen. So blieb sie acht bis vierzehn Tage lang liegen. Während dieser Zeit fütterte ihre Mutter sie mit Butterbrot, Fleisch, Gemüse, Bohnenkaffee oder Milch. Wenn sie Hunger hatte, gähnte sie. In ihrem Dornröschenschlaf liebte sie die Abwechselung in der Kost. Waren ihr die Speisen zuwider oder nicht bekömmlich. weigerte sich Gesine, die Nahrung aufzunehmen. 1879 schlief sie dreißig Wochen lang. Dann war die Schlafsucht für sechs Jahre aus dem Bauernhaus in der Grambker Dorfstraße verbannt.

 

  • 1886 wollte Gesine in einem Bremer Haushalt kochen lernen. Ihr Bruder kutschierte sie im Hochdogcart die Oslebshauser Heerstraße entlang nach Bremen. Als "Dornröschen" Gesine am Stadtziel aus dem Wagen steigen wollte, stürzte sie aufs Straßenpflaster. Ihr knöchellanger Rock hatte sich im Wagenrad verfangen. Jetzt war es mit dem aufgeschlossenen Geist der Vierzehnjährigen vorbei. Gesine konnte nichts mehr begreifen, fühlte sich wie zerschlagen und wimmerte den ganzen Tag vor sich hin. Nach drei Tagen fuhr sie die Oslebshauser Heerstraße wieder entlang, diesmal in umgekehrter Richtung.

 

  • In Grambke konnte sie anfangs keinen Schlaf finden. Der Hausarzt verordnete verschiedene Schlafmittel. Vergebens. Dann legte sie sich hin und schlief vier Tage hintereinander. Später vierzehn. Im Dezember 1886 stand sie überhaupt nicht wieder auf. Ihr Vater, Bürgermeister von Grambke, holte die Kapelle des 16. Infanterieregiments auf seine Bauerndiele und ließ sie mit voller Lautstärke spielen. Aber da mußten schon andere Posaunenklänge kommen, um Gesine Meyer aufzuwecken.

 

  • Siebzehn Jahre später erwachte Bürgermeister Meyers Nachbar vom Scharren seines Pferdes. Es hatte Feuerschein durch die Stallritze wahrgenommen. Bauer Segelkens Scheune brannte. Der Grambker Kirchenglöckner sprang einige Häuser weiter barfuß zum Glockenstrang und während das dumpfe Feuergeläut über die verschlafenen Dorfdächer tönte und Bauer Segelkens Schneunenbrand in Nachbar Meyers Fenster glutrot spiegelte, erwachte Gesine aus ihrem Dornröschenschlaf. Diese Nachricht verbreitete sich schneller in der nächtlichen Gemeinde als die vom Scheunenbrand. Das war am 15. November 1903. Mutter und Schwester waren inzwischen gestorben. Gesine konnte sich das schlecht erklären. Erst später kam sie dahinter, daß sie "in einer Nacht" siebzehn Jahre älter geworden war.

 

  • Am 28. Februar 1915 legte sich das Grambker "Dornröschen" zum letztenmal zum Schlaf nieder. Diesmal für immer. An ihrem Grabe sprach Pastor Heinrich Hoops. Jahre später traf er einen bekannten Baseler Theologen. "Das Andenken der Schlafenden in Grambke ist bei uns in der Schweiz bis heute nicht erloschen", berichtete der Schweizer dem Dorfprediger. Pastor Hoops erzählte es seiner Gemeinde weiter.
 
Erstellt von: Letzte Änderung: Dienstag den 25. Juli. 2017 19:30:00 CEST von Rainer Meyer
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